Re: Was lest Ihr so gerade?
von don redhorse » 04.07.2012, 06:46
Naja, wir lesen ja doch noch irgendwie PR, oder? Insofern passt es schon.
Du hast natürlich recht. Aber: irgendwo zwischen dem gemäßigten und dem Extremisten gibt es ja einen Bereich, den der ehedem Gemäßigte überschreitet, wo er zum Extremisten wird - und den er im idealen Fall erkennen sollte und sich sagen müsste: "Halt! Was mach ich denn da? Was denke ich, tue ich, plane ich?"
In Spinrads Buch wird das sogar gut vermittelt. Dort überschreitet man als Leser zusammen mit dem übermenschenmessianischen Protagonisten und dem fiktiven Verfasser gleich zu Beginn diese unscharf definierte Grenze und gerät zunehmend in einen Sog, dem man sich kaum widersetzen kann - selbst als jemand, der genau weiß oder zumindest ahnen müsste, was da noch kommt.
Wie muss sich dieses Gedankengut unreflektiert und pur, zumal ohne Vorerfahrung, auf einen beeinflussbaren Geist auswirken? Wenn jemand noch nie vom Dritten Reich, dem Nazi-Terror und den KZ's gehört hätte, würde ihn die Handlung, wie sie in "Der stählerne Traum" geschildert wird, zutiefst anwidern und abstoßen und zugleich eben die Haltung des fiktiven Nachwort-Verfassers einnehmen lassen: froh zu sein, das solch ein Monstrum wie der Protagonist in Wirklichkeit niemals möglich sein könne... (Nur, das er in der echten Realität und nicht der fiktiven Parallelwelt, in der das Buch geschrieben wurde, eben einen Führer Adolf Hitler gab.)
Zugleich erkennt man: die von Spinrad beschriebenen Handlungselemente wurden zwar in einer übelkeiterregenden Sprachregelung verfasst (bewusst, um im Leser eben diesen Abscheu vor den "Helden" des Romans zu wecken), reflektieren aber nicht nur faschistisches, rassistisches und nationalsozialstisches Gedankengut in höchster Vollendung, sondern leider auch viele, sehr viele ach so naiv erscheinende Klischees der alten SF...
Natürlich bin ich jetzt, so kurz nach der Lektüre, wieder höchst sensibel für entsprechende Untertöne; sicher sogar überempfindlich. Das wird sich recht bald legen, wie in anderen Fällen ja auch... Mein Faschismus-Detektor hat vor zwei Wochen im Forum von sf-fan.de recht heftig ausgeschlagen, als ich eine an sich harmlose Frage stellte (das ganze kann man im "Captain America"-Thread nachlesen, falls es jemanden interessiert), und artete in tagelanges Posting aus, bei dem es nachher nicht mehr um die Grundfrage ging (ob mein Eindruck, Captain America käme in dem Trailer, der auf der "Thor"-DVD zu sehen ist, faschistisch rüber, richtig oder falsch sei).
Whatever...
Ich habe gerade das TERRA-Taschenbuch ausgelesen. Es wurde zum Schluss immer schlechter und zäher, bis ich eigentlich kaum mehr als ein Dutzend Seiten am Stück lesen konnte, bis es mir zuviel wurde. Definitiv kein Glanzstück der TERRA-TB-Reihe... Vermutlich arbeite ich mich demnächst durch George R.R. Martins "Das Lied von Eis und Feuer", denn der 9. Band ist endlich auf Deutsch erschienen. Angesichts der Erkrankung des Verfassers muss man sich sorgen, ob er den Zyklus vollenden wird...
Ist das eigentlich in Ordnung, das man sich bei einem Schriftsteller deshalb um die Gesundheit sorgt, weil man neue Romane lesen möchte?
Ich habe Dinge gesehen, die ihr Menschen niemals glauben würdet.
Roy Batty in Blade Runner