Stephen Baxter: Evolution




Stephen Baxter: Evolution

Beitragvon Torben » 06.06.2004, 23:27

Hier schon mal mein Beitrag für das WoC für die Forumsbesucher:

STEPHEN BAXTER: EVOLUTION
Rezension
von Hamiller

Stephen Baxter ist einer meiner persönlichen Lieblings-Autoren. Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass der englische Mathematiker und Astronom modernste Physik in seine Romane einbaut, ohne die menschliche Seite seiner Geschichten zu vergessen. Dazu kommt eine gehörige Prise Gigantomanie, die aber durch wissenschaftlichen Hintergrund des Autors gestützt wird. Zu seinen Werken zählen der Xeelee-Zyklus, „Zeitschiffe“ (eine Fortsetzung von Well’s Zeitmaschine) und die Multiversum-Trilogie.

In seinem zuletzt in Deutschland bei Heyne veröffentlichten Roman „Evolution“ kümmert sich Baxter mal weniger um die Astrophysik und wendet sich einem anderen interessanten wissenschaftlichen Thema zu: „Evolution“ erzählt die Geschichte der Entwicklung der Menschheit. Von ihren Vorfahren zur Zeit der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren, über Primaten und Steinzeitmenschen zum Homo Sapiens des Jahres 2031, der schließlich durch eine globale Klimakatastrophe ausstirbt. Die Geschichte wird in drei Episoden bis in eine ferne Zukunft in 500 Millionen Jahren fortgesetzt, wo die letzten Nachkommen des Homo Sapiens, die in enger Symbiose - dafür ohne Intelligenz - mit einem Baum leben, schließlich aussterben.
Als Rahmenhandlung dient eine Konferenz im Jahr 2031, bei der Wissenschaftler aller Fachrichtungen klären wollen, wie die immensen sozialen und ökologischen Probleme der Welt gelöst werden können. Praktisch wird immer eine Geschichte um ein Tier (später eines Menschen) erzählt, welches zur langen Ahnenreihe der Menschen zählt. Niedlich ist dabei die Namensgebung der Tiere: Benannt sind sie nach auffälligen Eigenschaften, die auch ihren Artgenossen auffallen. So heißen die tierischen Protagonisten Streuner, Stark oder Weit.
Der erste Höhepunkt des Buches ist der Einschlag des Kometen Teufelsschweif vor 65 Millionen Jahren, der die Dinosaurier auslöscht und den Säugetieren die Ausbreitung in der Wüste ermöglicht, die der Komet hinterlässt. Baxter vermittelt eindringlich den Maßstab der Katastrophe. In den folgenden Episoden besetzen die Säugetiere ökologische Räume wie den Wald und entwickeln ein immer komplizierteres Sozialverhalten. Als Nebenepisode wird die zufällige Überquerung des Atlantik einiger früher Primaten auf einem in den Fluss gestürzten Baum geschildert, um zu zeigen, wie in langen Zeiträumen auch äußerst unwahrscheinliche Ereignisse zwangsläufig eintreten. In einer anderen Nebenepisode sterben die letzten Tiere in der zufrierenden Antarktis aus, wobei sich Baxter mehr schriftstellerische Freiheiten gönnt.
Überflüssig erscheint nur der Einschub eines Kapitels, in der Baxter noch einmal 145 Millionen in die Vergangenheit geht, um steinzeitliche Reptilien zu schildern, die durch das Auseinanderbrechen Pangäas ihrer Lebensgrundlage verlieren. Ebenfalls sehr gewagt ist der Luftwal zur Zeit der Dinosaurier, der hoch in der Atmosphäre lebt. Der Autor will zeigen, dass es Lebensformen gegeben haben kann, die keinerlei Spuren hinterlassen haben, so dass wir nie von ihnen erfahren werden. Aber zumindest die intelligenten Echsen passen meiner Meinung nach überhaupt nicht in das Gesamtgefüge des Buches, gerade weil sich laut Baxter nach dem Menschen keine weiteren intelligenten Lebensformen auf der Erde entwickeln.
Der zweite Teil zeigt die Entwicklung zur Zivilisation, bei der unterschiedliche Arten von Menschen parallel existieren. Baxter legt Wert Wert auf die Eingriffe der Menschen in die Evolution ihrer Umgebung. Die Erfindung der Landwirtschaft stellt einen massiven Eingriff dar. Schließlich mündet die Geschichte in die Rahmenhandlung im Jahr 2031, wo ein erster Roboter auf dem Mars sich selbst nachbaut. Als die Menschen aussterben und Befehle von der Erde ausbleiben, wird der Mars binnen Jahrhunderte komplett von lernfähigen Robotern in einer Evolution der Maschinen verbaut, worauf die Roboter in der Galaxis ausschwärmen. Zugleich haben die Menschen ihren Zenit überschritten: Terroristen platzen in die Konferenz, als die Anwesenden gerade die entscheidende Idee erahnen. Das Verhalten der Terroristen wird durch die vorhergehenden Episoden verständlicher und auch ein bisschen verspottet. Parallel dazu bricht der Vulkan Rabaul aus und gibt dem Klima den entscheidenden Schubs zum Umbruch. Das Ende des intelligenten Menschen stimmt dann schon traurig:
„Und als die natürlichen Grundlagen des Planeten zusammenbrachen, mussten die Menschen feststellen, dass sie noch immer nur in ein Ökosystem eingebettete Tiere waren; und als es starb, starben sie auch.“
Der dritte Teil des Buches geht in die Zukunft. Für die Artenvielfalt stellt das Intermezzo Mensch einen ähnlich katastrophalen Einschnitt wie der Einschlag des Kometen zur Zeit der Dinosaurier dar. Und so breiten sich verschiedene Tiere in die zahlreichen Nischen aus, die der zivilisierte Mensch freigeräumt hat. Kaninchen und Ratten stellen ebenso den Ausgangspunkt für neue Arten wie die Menschen, deren Nachkommen aber ohne Intelligenz auskommen. Diese Vielfalt endet mit dem Einschlag des Asteroiden Eros.
In einer ganz fernen Zukunft in 500 Millionen Jahren trocknet das Leben auf einem neuen Pangäa allmählich aus. Die letzten Nachfahren der Menschen leben in einer hochspezialisierten Symbiose mit einem Baum, der die Nachfahren beherbergt und versorgt und diese dafür ausschickt, um Samen zu pflanzen und Nährstoffe herbeizuschaffen. Und so endet die Geschichte der Menschen, als der Baum in Mangelzeiten die Kleinkinder tötet, um die Nährstoffe wieder aufzunehmen und erst in besseren Zeiten wieder Nachwuchs zuzulassen:
„Sie strich über die Bauchwurzel und half ihr dabei, den Weg in ihren Bauch zu finden. Die anästhesierenden und heilenden Chemikalien beruhigten den schmerzenden Körper und schlossen die Blessuren. Und als psychotrophe pflanzliche Substanzen die lebendige Erinnerung an ihr verlorenes Baby wegspülten, wurde sie mit einem scheinbar immerwährenden grünen Frieden erfüllt.
Es war eigentlich kein schlechtes Ende für eine so lange Geschichte…“

Baxter gönnt dem Leser den Trost, dass Bakterien das Leben von der Erde auf andere Planeten tragen, während die Erde selbst ausbrennt. Ich bin von dem Buch fasziniert. Es ist sehr gelungen, den evolutionären Sinn hinter dem merkwürdigen Primaten-Verhalten, dass die Wissenschaftler Alyce und Joan auch bei dem Anführer der Terroristen erkennen, zu zeigen. Angesichts des Gruppenselbstmordes der Terroristen diagnostiziert Joan pessimistisch eine Fehlanpassung der Menschen an die Kultur. Die Einläutung des Weltuntergangs an dem Tag gibt ihr Recht, so dass die Szene eine starke Weltuntergangsstimmung verbreitet. Baxter ist hier deutlich pessimistischer als in seinen anderen Büchern, wo die Menschen im Schatten der Xeelee Wunderwerke der Technik vollbringen. Das Aussterben der Menschheit erscheint als zwangsläufige Folge.
Auf der fachlichen Seite bin ich in Biologie und Geologie zu wenig bewandert, um Fehlern auf die Schliche zu kommen. Ein Grund mehr, dass sich Al Khidr und Wedge das Buch mal vornehmen sollten.
Eine Wertung entfällt, es ist wohl klar, dass das hier keine kritische Rezension, sondern ein halb spontanes Abfeiern des Buches ist. Baxter macht vor, wie man riesige Zeiträume richtig einsetzt, um den Leser einen Schauer über den Rücken zu jagen. Das ist gerade eine Fähigkeit, die ich bei den laufenden SF-Romanserien in letzter Zeit schmerzlich vermisst habe.
Zuletzt geändert von Torben am 06.06.2004, 23:27, insgesamt 1-mal geändert.
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von Anzeige » 06.06.2004, 23:27

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Re: Stephen Baxter: Evolution

Beitragvon Al Khidr » 07.06.2004, 01:41

Olaf Stapledon übt offenkundig immer noch großen Einfluß auf die SF aus. Wobei Baxter ja schon in seiner Wells-Fortsetzung "Zeitschiffe" seine intensive Beschäftigung mit den großen Pionieren bekundet hat.
Da fällt mir ein, das Ende der Menschheit in "Evolution" könnte man auch als Paraphrase von Wells "Die Zeitmaschine" sehen.

Auf Romane, die Tiere als Protagonisten haben, reagiere ich prinzipiell sehr spröde, obwohl ich unlängst "Homchen" von Kurd Laßwitz las, und meine Freude daran hatte.
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Re: Stephen Baxter: Evolution

Beitragvon Torben » 07.06.2004, 10:07

Man sollte das vielleicht dramatisierte Dokumentation nennen, wie diese alten Dinger "Die Wueste lebt". Baxer zeigt aber recht humorlos die natuerliche Auslese bei der Arbeit.
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