Ich glaube, der Unterschied zwischen Cyrano/Lukian etc auf der einen, und Swedenborg etc auf der andere Seite ist der: wenn Cyrano de Bergereac scheibt, das er in einem von Gänsen gezogenen Ballon zum Mond flog, hat das niemand wirklich als echten Reise- oder Erfahrungsbericht gelesen, sondern als reine Abenteuerlust in, wie al khidr sagt, Märchenform, oder auch als Fabel, Gleichnis; whatever. Die frühesten SF-Autoren dagegen haben immer - und das definiert m.E. das Genre als solches - versucht, einen Realitätsbezug herzustellen, das der Leser - wenn er schon nicht ernsthaft glaubt, das sei so geschehen oder könne so geschehen - es doch zumindest für möglich hält. Oberth galt auch als Phantast, als er "Mit Raketen zu den Planetenräumen" veröffentlichte, und wenn das Buch nicht von Formelmathematik und physikalischer Beweisführung gestrotzt hätte, wäre es SF geblieben - ungeachtet des Umstandes, das seine Visionen Jahrzehnte später realisiert wurden.
Swedenborg war weniger ein SF-Autor, als ein christlicher Mystiker, denke ich. Aber er hat glaubwürdig auf der Grundlage seiner zeitgenössischen Bildung argumentiert, wenn man seinerzeit modernste Forschung ignoriert (Lord Kelvins Bestimmung des Erdalters auf wenigstens mehrere zehn Millionen Jahre; Darwins Evolutionstheorie etc.). Aber das ist typisch für jede phantastische Literatur: auch heute vernachlässigen die meisten SF-Autoren munter die Folgerungen der modernen Kosmologie, der Quantenphysik und der Nano-, Bio- und Gentechnik und fabulieren munter drauflos über Hyperlichtgeschwindigkeit, Quantenbeamen, Naniten, Supergemüse und Klone. Nichtsdestotrotz ist die SF halt eher ein Tummelplatz der Ideen und ein Spielplatz für Möglichkeiten, die sich uns HEUTE öffnen, und nicht so sehr eine exakte Extrapolation in die soundsovielte Generation nach uns. Insofern haben auch die alten SF-Autoren nichts anderes getan als die heutigen. Natürlich erscheinen die Fehler, die einige von ihnen machten (Kanonenabschuss mit lebender Fracht - OMG), als hoffnungslos naiv. Auch damals hätte sich jemand fragen müssen: wenn ein Mensch nach einem Sturz aus dem dritten Stock beim Aufprall zu einem Sack voller gebrochener Knochen und geplatzter Organe wird - wie würde er beim Abschuss im Innern eines Projektils aussehen?
Vermutlich werden sich SF-Fans in hundert Jahren Stephen Baxters Romane durchlesen und einen Lachanfall nach dem andere bekommen. "Dunkle Materie? Kosmische Strings? WURMLÖCHER? Warum nicht auch noch Hexen auf fliegenden Besen???"
Damals war das Universum voller Fragezeichen. Heute sind es viel mehr Fragezeichen, aber zumindest haben wir ein paar Ausrufezeichen hinzugefügt, wo früher Fragezeichen waren...
Der Vorteil der heutigen SF ist, das sie von Leuten geschrieben wird, die mehrheitlich
schreiben können. Die Klassiker sind bisweilen unlesbar aufgrund des Umstandes, das der Verfasser einfach kein literarisches Talent hatte.
Es gibt sehr überraschende Ausnahmen. Schade, das al khidr sie noch nicht gefunden hat...
Ich habe Dinge gesehen, die ihr Menschen niemals glauben würdet.
Roy Batty in Blade Runner